Es gibt noch immer Lebensgeschichten, die kaum erzählt worden sind, obwohl sie ein beeindruckendes Zeugnis der Zeitgeschichte bieten.
Erinnerung ist politisch – denn welche Geschichten in die Erinnerungskultur eines Landes aufgenommen werden, welche verschwiegen werden und unbeachtet bleiben,
ist nicht nur eine Frage des Geschichtsbegriffes einer Nation, sondern spiegelt auch ihr politisches Selbstverständnis für die Gegenwart.
Es gibt noch immer Geschichten, die entdeckt werden müssen. Dazu gehört die Geschichte von Hilde Radusch.
Hilde Radusch, geb. am 06.11.1903 in der Nähe von Stettin, war eine antifaschistische Widerstandskämpferin und lesbische Aktivistin.
1933 wurde sie, kurz nach der Machtergreifung Hitlers, von den Nazis aufgrund ihrer KPDMitgliedschaft für einige Monate inhaftiert und war nach dieser Haftzeit weiterhin von Verfolgung bedroht. Einer erneuten Verhaftung konnte sie nur entgehen, weil sie sich von August 1944 bis zum Ende des Krieges versteckt hielt.
1939 lernte sie Eddy kennen, die für 21 Jahre ihre Lebensgefährtin bleibt.
In der Nachkriegszeit arbeitete Hilde Radusch zunächst für das Bezirksamt Schöneberg in der Abteilung „Opfer des Faschismus“; sie wechselte 1948 von der KPD in die SPD. Sie engagierte sich in der Zweiten Frauenbewegung und war als lesbische Aktivistin präsent.
Bis zu ihrem Tod im Jahre 1994 widmete sich Hilde Radusch Fragen der Geschlechterdifferenz und Gleichberechtigung.  Dies tat sie sowohl in ihrer konkreten politischen Arbeit als auch in literarischen Texten, die sie vergeblich zu publizieren versuchte. Die Stimme, die Hilde Radusch für die Sache von Frauen und Lesben erhob, konnte so immer nur eingeschränkt vernommen werden. Umso wichtiger, dass wir jetzt auf sie zu hören bereit sind.

2012 wurde für sie ein Ehrenplatz eingerichtet: Vor ihrem Haus in Berlin steht eine Bank mit einer Statue von ihr, an der sich zudem eine Gedenktafel befindet.
Am 06.11.2016, am 113. Geburtstag Hilde Raduschs, wurde ihr Grab, das sich auf dem Berliner St.-Matthäus-Kirchhof befindet,
zum Ehrengrab ernannt. Auf diesem Friedhof, auf dem sich etwa 30 Ehrengräber befinden, ist dies das zweite Ehrengrab, das einer Frau zugesprochen wird.
Dass ihr Grab nun als Ehrengrab gilt, ist eine späte Würdigung eines widerständigen Lebens und ein wichtiger Schritt für die Sichtbarkeit von Lesben in der Geschichte. Dass diese Ernennung so lange auf sich warten ließ, und dass ihr Ehrengrab eines von zwei Ehrengräbern für Frauen auf dem Berliner Kirchhof ist,
zeigt, dass noch viel getan werden muss um der history, endlich die herstory einzuschreiben, die der Geschichte gerecht werden kann.

Foto von Hilde Radusch von 1941 und weitere Informationen hier:

Spinnboden.de

ilonascheidle.de

Heinrich Böll Stiftung: böll.de mit Foto